Von Toilettenpapier und Sprachkammer

Die Neuenburg verfügt über ganz besondere Toiletten des Hochmittelalters.

 

Deutschland im Jahr 2020. Die einen horten es massenhaft, die anderen können es dank ersterer kaum bekommen – Toilettenpapier. Aber was uns heute so wahnsinnig lebensnotwendig erscheint, war vor rund 160 Jahren noch kaum verbreitet, denn das erste Papier für das gewisse menschliche Bedürfnis gab es erstmals 1857 in den USA zu erwerben, das erste Toilettenpapier auf Rolle gar erst 1879. 

Europa in der Zeit des 12. und 13. Jahrhunderts, der Blütezeit der Neuenburg unter den Thüringer Landgrafen wusste davon freilich noch nichts. Gleichwohl half man sich bei Besuch des „stillen Örtchens“, des „geheimen Gemachs“ oder der „Sprachkammer“ mit Moos, Blättern, Wollbällchen und in höheren Kreisen mit textilen Resten. Darin konnte sogar schon einmal Seide verwebt sein, wie Funde aus Latrinengruben belegen. 

Der Begriff „Sprachkammer“ trifft es im Fall der mittelalterlichen Neuenburg übrigens ziemlich genau. Sie verfügte nämlich neben anderen Latrinenanlagen ins besondere über zwei jeweils doppelsitzige Toilettenerker. Hier konnte man ungestört gewisse Dinge bereden und im wahrsten Sinne sein „Geschäft“ miteinander abschließen. Entstanden im Zuge der letzten Ausbauphase der romanischen Neuenburg um 1220 sind diese Zeugnisse mittelalterlicher Hygiene bis heute erhalten geblieben und sorgen bei unseren Besuchern regelmäßig für eine gewisse Belustigung und Erstaunen. 

 

Und diese "Doppelsitzer" waren günstig gelegen. Aus den Gemächern des Wohnturmes gelangte die landgräfliche Familie direkt mit einer Galerie über dem Westtor dorthin. Dadurch erheben sich die hochmittelalterlichen Toiletten auf zwei Etagen seit dem 13. Jahr- hundert über dem steilen Abhang.